Mecklenburg-Vorpommern ist eine Region mit einer reichen und vielschichtigen Geschichte. Neben den Einflüssen der Hanse, der Schweden und der Preußen spielten die Slawen eine entscheidende Rolle in der kulturellen und strukturellen Entwicklung des Landes. Vom 6. bis zum 12. Jahrhundert siedelten verschiedene slawische Stämme in der Region, bevor sie durch die deutsche Ostexpansion und die Christianisierung allmählich in die entstehende mittelalterliche Gesellschaft integriert wurden. Doch ihr Einfluss ist bis heute in vielen Bereichen sichtbar – von Ortsnamen über Handwerkskunst bis hin zu traditionellen Bräuchen.
Die Slawen in Mecklenburg-Vorpommern
Die Slawen kamen im Zuge der Völkerwanderung in den Raum des heutigen Mecklenburg-Vorpommerns und besiedelten vor allem die fruchtbaren Flusslandschaften. Sie organisierten sich in Stammesverbänden, von denen die Abodriten und Wilzen zu den bekanntesten gehörten. Diese Gruppen lebten in festen Siedlungen, die oft durch Holz-Erde-Wälle geschützt waren. Bekannt sind beispielsweise die Slawenburg bei Groß Raden oder die Wallanlagen von Ralswiek auf Rügen. Der Alltag der slawischen Bevölkerung war von Landwirtschaft, Fischerei und Handwerk geprägt, wobei sie eine hohe handwerkliche Kunstfertigkeit entwickelten.
Mit der Expansion des Heiligen Römischen Reiches und dem wachsenden Einfluss deutscher Fürsten begann ab dem 12. Jahrhundert die Christianisierung und die schrittweise Integration der slawischen Gebiete. Namen wie Heinrich der Löwe oder Fürst Pribislaw sind eng mit dieser Epoche verbunden. Die slawischen Einflüsse verschwanden jedoch nicht völlig – sie vermischten sich mit deutschen Traditionen und hinterließen ein dauerhaftes kulturelles Erbe.
Handwerkskunst: Das slawische Erbe in Technik und Bauweise
Ein besonders nachhaltiges Vermächtnis der Slawen zeigt sich in der Handwerkskunst. Die Slawen waren geschickte Handwerker, die sich auf Holzverarbeitung, Töpferei und Textilproduktion spezialisierten. Bis heute haben sich bestimmte Techniken erhalten, insbesondere in der Holzschnitzerei. Auch die Verwendung von Stamflehm – einer Bauweise, bei der feuchter Lehm in Schichten aufgetragen und verdichtet wird – hat ihre Ursprünge in der slawischen Zeit. Diese nachhaltige Technik erlebt heutzutage ein Revival im ökologischen Bauen.
Ortsnamen und Städteaufbau: Slawische Spuren in der Toponymie
Ein Blick auf die Landkarte Mecklenburg-Vorpommerns offenbart zahlreiche Ortsnamen mit slawischen Wurzeln. Typische Endungen wie „-ow“, „-itz“ oder „-in“ gehen oft auf slawische Ursprünge zurück. Städte wie Rostock (vom slawischen „Roztoc“, was „Ort, wo sich der Fluss ausbreitet“ bedeutet), Schwerin (von „Zverin“, „Ort der Tiere“) oder Güstrow (abgeleitet von „Gus“, „Insel“) sind deutliche Zeugnisse dieses Erbes.
Auch im Städtebau hinterließen die Slawen ihre Spuren: Runddörfer und Wallanlagen, die typisch für slawische Siedlungen waren, beeinflussten später den mittelalterlichen Städtebau.
Kulturelle Feste: Slawische Traditionen im Jahreskreis
Viele der heute bekannten Feste haben ihre Wurzeln in der slawischen Kultur. Ein Beispiel ist das Osterwasserholen, ein alter Fruchtbarkeitsbrauch, bei dem in der Osternacht Wasser aus Flüssen oder Quellen geschöpft wird, dem heilende Kräfte zugeschrieben werden. Auch die Walpurgisnacht, die in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns gefeiert wird, geht auf vorchristliche slawische Frühlingsfeste zurück. Darüber hinaus zeigen sich slawische Einflüsse in traditionellen Erntefesten, die in ländlichen Regionen bis heute gepflegt werden. Sie erinnern an die enge Verbindung der Slawen zur Natur und ihre Dankbarkeit für die Erträge des Bodens.
Das fortbestehende Erbe der Slawen
Auch wenn die eigenständige slawische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern im Laufe der Jahrhunderte mit der deutschen verschmolz, sind ihre Spuren bis heute lebendig. Die slawischen Einflüsse auf Sprache, Architektur, Handwerk und Traditionen bereichern die Region und erzählen von einer faszinierenden Vergangenheit. Ein bewusster Blick auf die Geschichte zeigt, dass Mecklenburg-Vorpommern weit mehr ist als nur ein deutsches Bundesland – es ist ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen, die das heutige Landschaftsbild maßgeblich geprägt haben.